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Der Begriff des Wissensmanagements im ökonomischen Kontext: Informationslogistik statt Bildung

Den "Erfindern" des Konzepts Wissensmanagement würde ein Nachvollzug der von Kübler et.al. vorgebrachten Zusammenhänge unter Umständen nicht unmittelbar einleuchten, da KM prinzipiell keinerlei Affinität zu bildungstheoretischen Konzeptionen aufweist. KM ist vor dem ausschließlich ökonomisch motivierten Hintergrund zu verstehen, im Sinne einer Informationslogistik das implizite Wissen von MitarbeiterInnen eines Unternehmens sinnvoll - d.h. mit dem Ziel einer Optimierung des Unternehmensgewinns - zu organisieren. Wissen muss im Zusammenhang von KM-Diskussionen vor allem als alltagspraktisches Erfahrungswissen interpretiert werden (Best Practice), als Wissen also, dass sich in erster Linie aus Quellen erschließen lässt, die undokumentiert und nicht-standardisiert den Erfahrungsschatz der MitarbeiterInnen eines Unternehmens repräsentieren. Folglich besteht der Kern von KM-Strategien bzw. das Ziel von zu realisierenden KM-Vorhaben in Unternehmen darin, dieses Wissen a) zu dokumentieren und b) im Rahmen der Schaffung logistischer Voraussetzungen sinnvoll zu verteilen und sämtlichen MitarbeiterInnen zur Verfügung zu stellen. Hinzu gesellen sich - jedoch in zweiter Linie - objektivierte Wissensquellen wie z.B. Newsmeldungen aus dem WWW oder offizielle firmeninterne Mitteilungen und Informationen.

Der Voraussetzung von KM liegt somit eine Perpektive zugrunde, die zunächst nichts Weiteres bezweckt, als das Erfahrungswissen von MitarbeiterInnen in höchstem Maße zu respektieren und für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens verfügbar zu machen. Sinnvoll eingesetzt, kann die Koordination dieses Erfahrungswissens im optimalen Fall zu einem unbilanzierten Erfolgsfaktor werden. (21) Dies zeigt jedoch ebenfalls, dass KM als eine prinzipiell technologieunabhängige Disziplin aufgefasst werden muss. Entscheidend für das Verständnis von KM ist einzig und allein die Einsicht in die Notwendigkeit der Integration von Erfahrungswissen auf allen Ebenen einer hierarchischen Strukturierung von Geschäfts- und Kommunikationsprozessen innerhalb eines Unternehmens oder einer Institution.

Dabei sollte die Nobilitierung des intellektuellen Kapitals von MitarbeiterInnen ausschließlich vor dem Hintergrund der Schaffung von Vorteilen im ökonomischen Wettbewerb und angesichts des Zwangs interpretiert werden, auf immer kurzfristiger angelegte Innovations- und Produktionszyklen reagieren zu müssen. Neuere Erfahrungsberichte mit realisierten KM-Projekten zeigen zudem, dass die "versteckten" Wissensquellen als realistische Erfolgsfaktoren eingeschätzt werden sollten. (22)


Weiche Faktoren

Die erfolgreiche Einführung von KM in Unternehmen ist ohne die Schaffung eines geeigneten psycho-sozialen Umfeldes, welches zur freiwilligen Dokumentation von Erfahrungswissen motiviert, nicht denkbar. (23) Zum charakteristischen Kennzeichen eines typischen KM-Umfeldes gehört daher die Etablierung einer Wissenskultur, in der Kooperationen, teamorientierte Vorgehensweisen (24) und die Freiwilligkeit des Wissensaustauschs zur Selbstverständlichkeit werden. Die oftmals in institutionell verankerten Gruppen anzutreffende "Angst vor Macht-, Status-, Kompetenz- oder Autoritäsverlust" (25) kann im Extremfall zum Scheitern von KM-Projekten führen. In diesem Zusammenhang muss klar gesehen werden, dass KM immer auch über eine politische Komponente verfügt, die den Aspekt der Freiwilligkeit letztendlich in eine Richtung bewegt, die eine Modifikation kommunikativer und struktureller Hierarchien voraussetzt.


KM-Anwendungen

Wie beschrieben, basieren die grundlegenden Voraussetzungen des Konzepts "Wissensmanagement" auf technologieunabhängigen Annahmen, die im weitesten Sinne psychologischer Natur sind. Jedoch wird die Diskussion des KM-Konzepts vornehmlich im Zusammenhang mit der Nutzung von Internet-/WWW-Technologien geführt. Gründe hierfür gibt es genug. Entscheidend ist, dass die Ausbreitung des WWW seit Beginn der Neunzigerjahre einen bislang ungekannten Innovationsschub hinsichtlich neuer Formen und Methoden der Informationsverarbeitung ausgelöst hat. Neuartige, auf Interaktion und sehr einfachen, übersichtlichen Zugriffsmöglichkeiten basierende Systeme (WWW-Server, WWW-Browser und entsprechende Anwendungen) lösen die ehemals proprietären (26) , an spezifische Hard- und Softwarekombinationen gebundenen informationsverarbeitenden Systeme ab. Ob Datenbankabfrage und. -eingabe, Rercherche, Kommunikation, u.v.m.: Aus der Sicht des Nutzers von WWW-Informationsdiensten stellt sich der "Browser" als universelles Klientenprogramm dar, das im Stande zu sein scheint, auf der Grundlage ein- und desselben Interfaces nahezu unendlich viele Funktionen auszuführen. Der Anbieter www-basierter Softwarelösungen hingegen denkt von Anfang an in den Kategorien der betriebssystemunabhängigen Vernetzung und des universellen Zugriffs.

Die im Laufe der kurzen Geschichte des WWW produzierten Konzepte sind hinlänglich bekannt. Kaum ein Kunsthistoriker, der nicht zumindest einen Newsgroup-Artikel gelesen hat. ChatRooms erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und Mailinglisten halten den/die wissenschaftlich Interessierte(n) auf dem neuesten Stand (Abb. 2: Arthist Mailingliste, www.arthist.net). (27) Vereinzelt organisieren und aktualisieren kunstwissenschaftliche Institute ihren "content" unter Zuhilfenahme eines www-basierten Redaktionssystems und die Nutzung von E-Mail ist heutzutage so selbstverständlich wie ehemals das Verfassen eines konventionellen Briefes.

Es sind gerade die sprichwörtliche Universalität und Einfachheit des Datenzugriffs in Kombination mit der auf Vernetzung und strukturierter Eingabe beruhenden WWW-Technologie, die das Internet für den Einsatz von Software zur Schaffung und Aufrechterhaltung sog. "Knowledge Communities" prädestinieren. Diese personellen Gemeinschaften von "Wissensarbeitern", die zunächst in Form eines lockeren Wissensaustauschs (Dokumentenaustausch über Chat, Newsgruppe, verteilte Lernsysteme auf WWW-Basis, Groupware, etc) die klassischen, ohnehin unternehmensintern installierten Formen der Dokumentenverwaltung oder Warenwirtschaft ergänzen, bilden den konkreten Anfang und Kern eines KM-Systems. Im Laufe der Zeit ermöglicht der strukturierende Zugang über spezialisierte, u.U. mit intelligenten Algorithmen operierenden Suchmaschinen, die gezielte Erschliessung der entstandenen Wissensquellen.

Einige im Zusammenhang der kunstwissenschaftlichen Informationsverarbeitung u.U. interessierende KM-Anwendungsszenarien seien an dieser Stelle genannt. (28) Die im Folgenden vorgestellten Beispielanwendungen gruppieren sich um das Konzept des Portals. Unter einem Portal versteht man die Möglichkeit des Zugriffs auf sämtliche unternehmensweiten Informationen aus einer einzigen Umgebung (Benutzeroberfläche) heraus. Portale präsentieren sich der Benutzerin/dem Benutzer meistens in Form einer Startseite, die Linklisten und Suchformulare enthält, und vor allem einen Zugang zu den folgenden Funktionen zur Verfügung stellen kann:

- Benutzerprofil: Aufzeichnung, Sammlung und Administration von Informationen über einen Benutzer. Beispiele sind Aufgabenbezeichnung, Abteilung, Skills, Expertise, Autorschaft, Zugriffsrechte, etc.

- Verteiltes Lernen: Eine Lernumgebung, die über das Internet eine Klassenraumatmosphäre am PC simuliert. Lerninhalte werden in einer Mischung aus Selbststudium und virtuellen Gruppentreffen mit dem Dozenten erarbeitet.

- Zusammenarbeit: Zusammenarbeit im virtuellen Umfeld wird durch die gemeinsame Nutzung von Know-how über synchrone (Messaging, Chat) und asynchrone (E-Mail, Newsgruppe) Hilfstools unterstützt.

- Virtuelle Konferenzen: Die Möglichkeit, als Gruppe oder Team synchron Dokumente oder Anwendungen gemeinsam zu bearbeiten.

- Yellow Pages: MitarbeiterInnen werden befähigt, über spezielle, im Inter-/Intranet abgelegte "Branchenverzeichnisse" andere MitarbeiterInnen mit speziellem Wissen zu finden.

- Data Warehouse: eine eigenständige, zentrale oder integrierende Datenbank für besonders wichtige Daten aus den verschiedensten Quellen im Unternehmen. Diese werden so gesammelt und gespeichert, dass Datenbankabfragen besonders einfach und schnell ablaufen können.

- Dokumentenmanagement: Anwendungen, die ein strukturiertes Umgehen mit Dokumenten verschiedenster Art ermöglichen. Zu den Funktionen gehören das Speichern und Archivieren, Katalogisieren und Indizieren, Suchen und Ansehen, der Workflow, das Versenden, Verteilen und Zusammenfassen.

Aus ersichtlichen Gründen werden Portale im Sinne des KM selten im öffentlichen Raum des Internet eingesetzt, sondern den MitarbeiterInnen nur über einen geschützten Bereich oder über den firmeninternen Arbeitsplatz zugänglich gemacht. Dennoch werden im allgemeinen Sprachgebrauch ebenfalls solche Websites bzw. Homepages als Portale bezeichnet, die entweder branchenspezifische Informationen anbieten (wie z.B. das Portal Kunstgeschichte unter www.kunstgeschichteportal.de, Abb. 3) oder rein optisch ein portaltypisches Seitenlayout präsentieren (z.B. das Nachrichtenportal des Magazins Der Spiegel, www.spiegel.de).

Einen möglichen, wenn auch nicht unbedingt realistischen, Eindruck hinsichtlich der Eingabe-Funktionalität eines KM-Systems bieten die Angebotsseiten des WWW-Buchhändlers Amazon (www.amazon.de). Zwar ist der eigentliche Anwendungszusammenhang in diesem Falle einzig und allein durch den kommerziellen Aspekt des Medienkaufs charakterisiert. Bezeichnend ist hingegen der von Amazon gebotene Rezensionsservice. (29) Neben der Präsentation des gewünschten Buchexemplars (Bibliographische Informationen, Preis, Summary und Abbildung des Buchtitels) erhält der potentielle Kunde die Möglichkeit zur Einsichtnahme in "persönliche" Rezensionen, die von Lesern des Buchs im Vorfeld interaktiv erstellt wurden (Meinung abgeben). Neben den offiziellen Informationen zum Exemplar existieren somit ebenfalls "Best-practice"-Hinweise auf die Bewertung des Buchinhalts (im KM-Jargon würde man in diesem Zusammenhang von "Ratings" sprechen), die einen informationellen Mehrwert darstellen, der über den konventionellen Buchhandel in dieser Form offensichtlich nicht angeboten werden kann (es sei denn, der lokale Literaturclub trifft sich zu einer Sitzung in den Geschäftsräumen des Buchladens). Im Gegenzug erhält der Besucher/die Besucherin der Seite - vorausgesetzt das betreffende Buch wurde gelesen - die Gelegenheit, eine eigene Rezension zu erstellen, um sich an der Erweiterung des Wissenspools zu beteiligen.


Systeme im Vergleich: KM vs. kunstgeschichtliche Datenbankprojekte

Eine Gegenüberstellung beider Ansätze - KM vs. kunstwissenschaftliches Datenbankprojekt (KD) - scheint angesichts der gänzlich verschiedenen institutionellen und einsatzbezogenen Voraussetzungen kaum möglich bzw. sinnvoll zu sein. Dennoch sollen an dieser Stelle einige Besonderheiten aufgeführt werden, die helfen können, aktuelle Vorhaben im Rahmen kunstwissenschaftlicher EDV-Projekte präziser einzuschätzen:

- Gegenstandsbereich: Im KM-Bereich steht von Anfang an das (unkontrollierbare und nicht standardisierbare) Erfahrungswissen der MitarbeiterInnen im Mittelpunkt. Das KD erfasst ausschliesslich das Bild (reproduziertes Kunstwerk) unter der Maßgabe wissenschaftlich standardisierter Kriterien.

- Art der Informationsstrukturierung: Ein KM-System stellt bewusst die technologischen und organisatorischen Bedingungen zur Initiierung bzw. Aufrechterhaltung informeller Interaktionen und Wissensnetzwerke an den Ausgangspunkt eines Projekts. Ein KD ist per definitionem ein geschlossenes System, das durch präselektierte AutorInnen "gefüllt" wird.

- Freiwilligkeit: Die Grundvoraussetzung eines KM-Systems besteht in der Freiwilligkeit der Informationseingabe. Prinzipiell mag dies ebenfalls auf KD zutreffen. In der Regel gelangen jedoch im Rahmen eines KD-Projekts wissenschaftliche MitarbeiterInnen und Hilfskräfte zum Einsatz, deren Tätigkeit gesondert vergütet und deren Arbeitszeit am Ort der Eingabe geregelt wird.

- Motivation: Die Generierung der Inhalte in KM-Systemen ist aufgrund des Prinzips der Freiwilligkeit in verstärktem Maße von motivierenden Faktoren abhängig. Oftmals werden KM-Projekte von differenzierten Kontroll- und Belohnungssystemen begleitet. Im KD existiert kein unmittelbar an die Eingabeaktivitäten gebundenes Belohnungs- und Kontrollsystem.

- Feedback: KM verlangt nach offenen Feedback-Lösungen (z.B. in themenbasierten Newsgruppen). Ein KD-Projekt beinhaltet in der Regel kein Feedback-Konzept.

- Hierarchien: Wie oben beschrieben, steht und fällt die erfolgreiche Durchführung eines KM-Projekts mit der Schaffung einer hierarchielosen psycho-sozialen Arbeitsstruktur. KD hingegen werden, was Finanzierung und Planung anbelangt, in eine hochschulinterne hierarchische Struktur eingebettet.

- Kooperation: Kooperationen der an der Realisierung von KM-Projekten Beteiligten "zahlen" sich idealerweise in doppelter Hinsicht aus: a) Umsatzsteigernd, b) individuell über ein Belohnungs-/Bonussystem. Der Kooperationsbegriff in KD ist hierarchischer Art und bezieht sich vor allem auf die inter-institutionelle Koordination von Datenbankeingabe-Prozeduren.

- Marktabhänigkeit: Die Installation von KM-Systemen wird in erster Linie vorgenommen, um den Erfahrungsschatz der MitarbeiterInnen umsatzsteigernd nutzen zu können. KD sind naturgemäß von kommerziellen Erwägungen freigestellt und werden über kameralistische Budgetierungskonzepte finanziert ("Töpfe", "Drittmittel", etc.)

- Prinzip des "Gebens und Nehmens": Der Fluss des Informationsaustauschs in KM-Projekten läuft in Analogie zu den in Newsgruppen üblichen Verfahren nach dem Prinzip des "Gebens und Nehmens" ab. Zufriedenstellende Beantwortung eigener Fragen verpflichten in gewisser Weise zur Abgabe eigenen Wissens im Falle von Rückfragen seitens fremder Teilnehmer. KD ist diese Mentalität naturgemäß fremd.

- Ausprägung des Wissens: KM-Projekte forcieren die Etablierung einer Wissenskultur auf der Grundlage von Erfahrung. KD verstehen sich bewusst als Initiatoren einer kunstwissenschaftlichen Expertenkultur.




21 Vgl. hierzu: Sercon-Informationsverantaltung "Wissen - Der unbilanzierte Erfolgsfaktor", 8. November, Kurfürstliches Schloss zu Mainz. Die entsprechenden Folien finden sich unter www.sercon.de.zum fliesstext

22 vgl. hierzu: Ina Hönicke: "Nur geteiltes Wissen ist Macht". In: Computerwoche, Heft 50/2001, S. 40 f.zum fliesstext

23 Peter Schütt: Wissensmanagement. Mehrwert durch Wissen, Niedernhausen/Ts. 2000 (Hrsgb.: IBM Unternehmensberatung GmbH), S. 117.zum fliesstext

24 Peter Schütt (wie Anm. 23), S. 141.zum fliesstext

25 Ina Hönicke (wie Anm. 22), S. 41.zum fliesstext

26 Als proprietär wird das Verhalten von Softwareprodukten bezeichnet, die in ihrem kompletten strukturellen Aufbau auf die Berücksichtigung allgemein gültiger Industriestandards verzichten und infolge dessen eine Harmonisierung mit bzw. Kompatibiltät zu weiteren Projekten, z.B. im Datenbankbereich, unmöglich erscheinen lassen.zum fliesstext

27 Beispiel hierfür. Das Diskussionsforum für Kunstgeschichte im H-Net - Humanities and Social Sciences Online (www.arthist.net).zum fliesstext

28 vgl. hierzu: Schütt (wie Anm. 23), S. 159.zum fliesstext

29 Wobei unter Rezension keine ausgearbeitete Literaturkritik, wie sie etwa im Feuilleton der gängigen Printmedien präsentiert wird, verstanden werden darf.zum fliesstext

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