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kgs · publikationen · wissensmanagement
Schenkt man neueren Ausführungen von Fachjournalisten und Bildungspolitikern Glauben, bewegen sich die in nachindustriellen Gesellschaften bis dato praktizierten Formen und Methoden der Organisation und des Transfers von Wissen auf ihr unwiderrufliches Ende zu. Während in kunstgeschichtlichen Seminaren, Vorlesungen und Bibliotheken die allseits bekannten Verfahren der Aneignung und Reproduktion fachimmanenter Inhalte bislang keinen nennenswerten Modifikationen unterliegen, nimmt in den bildungspolitischen Konzeptionen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die anstehende Lern- und Lehrzukunft an Hochschulen Formen an, die auf eine verstärkte Nutzung der neuen Medien abheben. Im Mittelpunkt derartiger Szenarien mit Empfehlungscharakter steht, obwohl nicht explizit gennannt sowie mit Metaphern der "Vernetzung" umschrieben, das Internet in seiner populären Ausprägung "World Wide Web" (WWW).

Dabei geht der Wunsch nach einer durchgängigen funktionalen Ordnung sämtlicher Formen wissenschaftlicher Informationsverteilung und -verarbeitung mit der Forderung einher, grundlegende informationstechnische Qualifikationsangebote unmittelbar an die universitäre Lehrpraxis zu binden. Neben konkreten Überlegungen zur Ausstattung hochschulinterner Einrichtungen mit geeigneter Hard- und Software treten in den Ausführungen des BMBF vor allem zwei Argumentationsmuster in den Vordergrund. Demnach sollten Hochschulen auf ihrem Weg in die Wissensgesellschaft die folgenden Richtlinien im Rahmen eigener Planungsvorhaben paradigmatisch umsetzen:

a) Die Maßgabe der Effizienz bzw. des ökonomisch verwertbaren Outputs von Bildungsangeboten:
Im Sinne eines Trainingszentrums, dessen Aufgabe in der Einübung leistungsorientierter Planungs- und Schlüsselkompetenzen des "real life" besteht, sollen der "Umgang und die effiziente Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien durch Lehrende und Lernende selbstverständlich werden". (1) Innovationen und volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit prägen ein versachlichtes Bildungskonzept, das mit Ansätzen Humboldtscher Prägung keinerlei Gemeinsamkeiten mehr aufweist, und dies auch bewusst nicht anstrebt.

b) Die Frage nach der Mobilität und Universalität des Zugriffs auf Bildungsangebote:
Infolge einer faktischen Allgegenwärtigkeit und der damit einhergehenden permanenten Verfügbarkeit netzbasierter Funktionen ("ubiquitous computing") prognostiziert das BMBF die Herausbildung neuer Lernformen an Hochschulen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck einer sich seit Beginn der Neunzigerjahre abzeichnenden Ergänzung der klassischen informationsverarbeitenden Zugriffsmaschine Personal Computer um mobile Endgeräte - man denke an die zahlreichen, das urbane Alltagsbild prägenden Mobiltelefone ("Handies"), an persönliche digitale Assistenten ("Handheld Computer") oder an tragbare Rechner ("Notebooks") - kommt das BMBF zu dem Schluss, dass Studierende an Universitäten "die Möglichkeit haben [...] [sollen, Anm. d. Autors], sich von jedem Punkt der Hochschule in das Netz einzuwählen, um so auf ihre Lehr- und Lernsoftware zuzugreifen."(2) (Abb. 1: Display eines Mobiltelefons. Zugriff auf Portalinformationen. Foto: Nokia) Dem "Netz" wird in einem derartigen Szenario nicht weniger zugeschrieben als die Übernahme der Kernaufgabe, die zentralen informationstechnischen und logistischen Grundlagen sämtlicher Lehr- und Lernprozesse zur Verfügung zu stellen.


Kunstgeschichte im Kontext "industriellen Lehrens und Lernens"?

Die in den Empfehlungen des BMBF so vehement eingeforderte Hinwendung zu neuen Medien, die die Hochschulen zu einer bislang ungekannten Effizienz- und Flexibilitätssteigerung von Lehr- und Lernangeboten befähigen sollen, argumentiert bewusst mit Begriffen, die im Zusammenhang mit neuartigen Weiterbildungsformen in Industrie und Wirtschaft zum Einsatz gelangen. "Distanzlernen", "E-Learning", "netzbasiertes Lernen", "personalisierte Weiterbildungsangebote", "computerbasiertes Lernen (CBT) " etc. scheinen so gar nicht der im öffentlichen Bewusstsein anzutreffenden Vorstellung zu entsprechen, wie universitäre Lehre und universitäres Lernen "eigentlich" auszusehen haben.

Bezogen auf den hier interessierenden Rahmen der kunstgeschichtlichen Lehre scheinen sich nicht die geringsten Beziehungen zu den BMBF-Szenarien aufweisen zu lassen: Ökonomischer Output und Effizienz von Bildungsangeboten in der Kunstgeschichte? Wozu - für Studierende der Kunstgeschichte - , wenn faktisch noch nicht einmal ein zumindest in Ansätzen funktionierender Arbeitsmarkt für KunsthistorikerInnen existiert? Wozu - für den wissenschaftlichen Lehrbetrieb -, wenn man bislang mit den bewährten konventionellen Lehr- und Lernmethoden der Veranstaltung mit Lichtbildvortrag ein in jeder Hinsicht ausreichendes Optimum an Wissensvermittlung garantieren konnte?


Thesen

In der jüngsten Vergangenheit scheinen, zumindest ansatzweise, die Rufe des BMBF auch in der Kunstgeschichte erhört worden zu sein: Eine Reihe kunstwissenschaftlicher IT-Projekte (3), hat sich der gemeinsamen Aufgabe verschrieben, konventionelle Strukturen und Funktionen der Wissensvermittlung- und präsentation via Internet gravierend zu verändern. Bemerkenswert ist, dass sämtliche Projekte in entsprechenden Anträgen und Selbstdarstellungen ein Vokabular verwenden, dass einerseits - ganz im Sinne des BMBF - vornehmlich dem in der beruflichen Weiterbildung Einzug haltenden Verfahren des CBT (4) entnommen wurde.

Andererseits wird mit Begrifflichkeiten operiert, die auf die eine oder andere Weise explizit auf ein im industriellen Bereich angesiedeltes Konzept zur Organisation von Erfahrungswissen Bezug nehmen: Es handelt sich um die Idee des "Wissensmanagements".

Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die besagten kunstwissenschaftlichen IT-Projekte eine Umdeutung der ursprünglich im Zusammenhang reinen Effizienzdenkens zu interpretierenden Konzepte vornehmen wollen bzw. tatsächlich vornehmen. Lässt sich das durch das BMBF evozierte Paradigma der Effizienz und Ökonomisierung von Wissensaneignung durch neue Medien lückenlos auf die kunstgeschichtliche Lehre übertragen? Gelingt es den besagten Projekten, unter Adaption zentraler Aspekte "industriellen Lernens" ein eigenes Profil aufzubauen?

Am konkreten Beispiel der hinter dem Begriff des Wissensmanagements verborgenen Konzepte soll im Folgenden aufgezeigt werden, inwieweit sich "Prometheus", "artcampus", "Schule des Sehens" und "system_kgs" - so die konkreten Projektbezeichnungen - einerseits deutlich und ganz bewusst von klassischen Vorgehensweisen in der Durchführung kunstgeschichtlicher IT-Projekte unterscheiden. Anderseits, so die These, gelingt es den Projekten durchaus, immanent kunstgeschichtliche Probleme der Wissensorganisation anzugehen, ohne auf den Einsatz derselben netzbasierten Technologien zu verzichten, die im industriellen Kontext zum Einsatz gelangen. Dabei gestaltet sich die Vorgehensweise wie folgt: Um eine Definition des Begriffs "Wissensmanagement" vornehmen zu können, werden zunächst

1. der Stellenwert und die charakteristischen Merkmale konventioneller kunstgeschichtlicher Projekte im Bereich Digitalisierung und Datenbankerstellung umrissen, um

2. in einer Gegenüberstellung mit dem vorab definierten Konzept des "Wissensmanagements im ökonomischen Kontext" Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Ansätze aufzuzeigen.

3. Auf Basis der Definitionen lassen sich nun die Zielsetzungen und Möglichkeiten der Projekte einschätzen.




1 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Anschluss statt Ausschluss. IT in der Bildung. Reihe "Innovationen Wissensgesellschaft" (BMBF Publik), Berlin, August 2000, S. 5.zum fliesstext

2 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (wie Anm. 1), S. 25. Im Übrigen wurde für eine flächendeckende Ausstattung mit mobilen Kleinrechnern sowie für die Entwicklung von Lernsoftware, die auf mobilen Endgeräten ablaufen soll, vom BMBF in 2001 50 Millionen DM für das Programm einer Notebook-University zu Verfügung gestellt.zum fliesstext

3 IT = Akronym Informations-Technologie. Dementsprechend ist unter einem IT-Projekt ein Vorhaben zu verstehen, das die Einführung von Informationstechnologien in Institutionen, Organisationen oder Unternehmen vorsieht. Beispiele hierfür sind z.B. Datenbankprojekte jeglicher Art oder die Anbindung eines Online-Bestellmoduls an ein Warenwirtschaftssystem. Neben einem technologischen Kern der Softwareentwicklung- und anpassung mfassen IT-Projekte ebenfalls Maßnahmen didaktischer Art, die z.B. die MitarbeiterInnen eines Unternehmens auf den Umgang mit einer neuen Software vorbereiten.zum fliesstext

4 CBT = Akronym Computer Based Training. Vornehmlich in innerbetrieblichen Abläufen bzw. im Rahmen beruflicher Weiterbildung zum Einsatz gelangendes Verfahren zum Selbststudium auf Basis elektronischer Lehr- und Lernmedien. Hierbei handelt es sich entweder um Lernprogramme auf einer CD-ROM oder um Online-Kurse, die über das Internet (WWW) abgehalten werden.zum fliesstext

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