index
kgs · publikationen · tagungsbericht bildmedien
»Die Bildmedien der Kunstgeschichte«. Tagungsbericht zum Workshop am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin

Am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität trafen sich vom 20.-21. Juni 2003 Nachwuchswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, um zwei Tage lang über den Einfluss von Reproduktionsmedien auf die kunstwissenschaftliche Forschungspraxis und Theoriebildung zu diskutieren und dieses in der Kunstgeschichte bislang wenig beachtete Thema zu umreißen. Der Workshop wurde von Wiebke Ratzeburg M. A. (Museum für Photographie Braunschweig), Dr. des. Ingeborg Reichle (Humboldt-Universität zu Berlin) und Dr. des. Barbara Schrödl (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg/Berlin) geleitet.

Die erste Sektion »Die Institutionalisierung der Kunstgeschichte« wurde von Ingeborg Reichle (Humboldt-Universität zu Berlin) moderiert, die einleitend den Forschungsstand zur Geschichte der Institutionalisierung der Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert referierte. Die Ausführungen machten darauf aufmerksam, dass der Prozess der Institutionalisierung des Faches Kunstgeschichte an den deutschsprachigen Universitäten seit der Mitte des 19. Jahrhundert von der Einführung von Reproduktionsmedien im kunstwissenschaftlichen Arbeiten begleitet wurde - und darüber hinaus geradezu konstitutiv für die Ausbildung des Faches Kunstgeschichte als eigenständige Disziplin war. Markiert wurde aber auch, dass der Einzug der technischen Bilder in die Wissenschaftspraxis dieser jungen universitären Disziplin nicht reibungslos verlief. Den Befürwortern für den Einzug technischer Bilder in diese damals noch Disziplin dienten jene neuen technischen Visualisierungsmöglichkeiten, die in den Naturwissenschaften schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts Einzug gefunden hatten, als schlagende Argumente für den Einsatz technisch hergestellter Reproduktionen von Kunstwerken und Monumenten. Die Entwicklung in den naturwissenschaftlichen Fächern wiederum skizzierte Anja Zimmermann (Universität Hamburg) im Anschluss daher am Beispiel anatomischer Visualisierungstechniken. Dabei wurde deutlich, dass in den Naturwissenschaften ganz ähnliche Kontroversen über das neue Medium Fotografie und dessen Status als objektives Aufzeichnungsinstrument geführt wurden, wie auch in den Kunstwissenschaften einige Jahrzehnte später.

Die zweite Sektion mit dem Titel "Mediendiskussion im 19. Jahrhundert" die von Wiebke Ratzeburg (Museum für Photographie Braunschweig) moderiert wurde, galt den Aushandlungsprozessen um die Integration der Fotografie - als gedrucktem Papierabzug und als Lichtbildprojektion - in die Kunstgeschichte. Angeknüpft werden konnte dabei an die bisherigen Forschungen zur kunsthistorischen Fotografie. Der Schwerpunkt der Sektion lag auf zwei Aspekten, die bislang zwar angeschnitten wurden, doch nur unzureichend diskutiert wurden. Dies war zum einen die Frage nach den sich wandelnden Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit und Objektivität. Zum anderen wurde die Analyse der Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen medialen Anordnungen der Kunstgeschichte weiter vorangetrieben.

Wiebke Ratzeburg (Museum für Photographie Braunschweig) referierte zunächst den Stand der Forschung zu den kontroversen Diskussionen, welche die Durchsetzung der kunsthistorischen Fotografie im 19. Jahrhundert begleiteten. Im Weiteren befragte sie die Erfolgsgeschichte der Fotografie mit Blick auf die sich im diesem Prozess etablierenden Konzeptionen der kunstwissenschaftlichen Forschung. Aufgezeigt werden konnte, dass die Etablierung der Fotografie als das Bildmedium der Kunstgeschichte die Diskurse um die Visualisierungspraktiken der Disziplin in eine Richtung verschob, welche die Suche nach 'objektiven' Repräsentationen der Kunstwerke und Baudenkmäler in dem Mittelpunkt rückte. Dadurch distanzierte sich die Kunstgeschichte partiell von den philologischen Wissenschaften, schloss sich den Naturwissenschaften näher an und konnte ihre Institutionalisierung als eigenständiges Fach vorantreiben. Mit dem neuen Interesse an der 'objektiven Reproduktion' durch die Fotografie wurde zudem das Bild des Kunsthistorikers als eines 'Kunstkenners' zunehmend abgelöst durch das Konzept des Kunsthistorikers als einen beweisführenden Wissenschaftler.

Angela Matysseks (Institut für Kulturwissenschaften Wien/Humboldt-Universität zu Berlin) Interesse galt mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts einer Phase in der der Gebrauch der Fotografie in der Kunstgeschichte bereits Selbstverständlichkeit erlangt hatte. Nur noch wenige Wissenschaftler meldeten sich zu Fragen der kunsthistorischen Fotografie zu Wort. Eine der interessantesten dieser Stimmen ist Richard Hamann. Hamann hatte 1913 das Bildarchiv »Foto Marburg« gegründet, welches in den 1920er und 1930er Jahren zu einem der größten Bildarchive für europäische Kunst und zum wichtigsten Lieferanten von Abbildungsmaterial für die Kunstgeschichte wurde. Gleichzeitig thematisierten Hamann und seine Mitarbeiter die (begrenzten) Möglichkeiten der fotografischen Repräsentation als wissenschaftlichem Hilfsmittel. Zum Einen formulierten sie Regeln zur Hervorbringung 'objektiver' fotografischer Darstellungen - wobei, wie Matyssek zeigt, der Begriff der 'Objektivität' zwischen der Forderung nach einer exakten Wiedergabe der Werke und einer Visualisierung kunsthistorischer Kompetenzen in der Darstellung der Werke changierte. Zum Anderen brachten sie mit dem »Durchphotographieren« der Objekte eine Bilderflut hervor, die grundsätzlich die Relativität der Forderung nach einer 'richtigen' Fotografie deutlich werden ließ.

Annette Tietenberg (form-Zeitschrift für Gestaltung/Akademie der Bildenden Künste Nürnberg) befragte das Wechselspiel zwischen Formen der Ausstellung von Kunstwerken und ihren Re-präsentationen in Kunstbüchern. Am Beispiel der documenta-Ausstellungen der 1950er Jahren und zeitgenössischen Publikationen konnte sie darlegen, dass Buchseiten mitunter einen stärkeren Einfluss auf das Ausstellungsdesign hatten, als die Betrachtung der Kunstwerke. Werner Haftmanns Buch »Malerei des 20. Jahrhunderts» (1953) war nicht nur Vorlage für den Ausstellungskatalog der documenta I (1955), das Buchlayout inspirierte auch in hohem Maße die Inszenierung der Gemälde in den Ausstellungsräumen. Für die documenta II (1959) wurden Skulpturen vor Stellwänden inszeniert, die ganz entsprechend der Freistellung auf Buchseiten eine frontale Betrachtungsweise erzwangen. Fotografien dieser Installationen fanden wiederum Eingang in Eduard Triers Buch »Figur und Raum» (1960).

In der Diskussion der Beiträge der ersten beiden Sektionen zeigte sich, dass im Bereich der kunsthistorischen Fotografie noch immer ein großer Forschungsbedarf besteht. Eines der Ergebnisse der Tagung kann darin gesehen werden, dass Forschungsfelder eröffnet bzw. präzisiert werden konnten. Eine Analyse der sich wandelnden Darstellungskonventionen der fotografischen Repräsentation von Kunst und Architektur wurde bislang kaum eröffnet, erscheint jedoch wünschenswert, um weiterführende Forschungsfragen bearbeiten zu können. Zudem wurde deutlich, dass eine Einbindung der Analysen der kunsthistorischen Fotografie in die aktuelle wissenschaftsgeschichtliche Erforschung der Visualisierungspraktiken der Natur- und Technikwissenschaften spannende Ergebnisse versprechen würde. Insbesondere gilt es die im Kontext des instrumentellen Gebrauchs wissenschaftlicher Bilder in den unterschiedlichen Disziplinen formulierten Vorstellungen von der 'Objektivität' der Fotografie herauszuarbeiten und zueinander ins Verhältnis zu setzen.

Die dritte Sektion »Das bewegte Bild und die Kunstgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts« die von Barbara Schrödl (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg/Berlin) moderiert wurde, erweiterte die meist auf eine Erfolgsgeschichte reduzierten Aushandlungsprozesse um die Bildmedien der Kunstgeschichte durch den Blick auf das Scheitern der Bemühungen den Film als wissenschaftliches Instrumentarium der Kunstgeschichte zu etablieren. Seit den 1910er Jahren waren in Theorie und Praxis die Qualitäten einer filmischen Repräsentation von Kunst und Architektur diskutiert worden. Nach einer kurzen Phase der Offenheit wurde dem Bildmedium Film jedoch im akademischen Kontext in den 1940er Jahren eine fast vollständige Absage erteilt, während es sich in der populärwissenschaftlichen Kunstvermittlung durchsetzen konnte. Um die bislang kaum diskutierte Frage nach den bewegten Bildern, die trotz mancher ihnen gegenüber dem stehenden Bild zugeschriebenen Vorzüge, in Forschung und Lehre nicht zum Einsatz kamen, die Vermittlung kusnthistorischen Wissens an ein breites Publikum aber in hohem Maße mitbestimmten, im Rahmen der Tagung produktiv zu machen, wurde eine Konzentration auf den Architekturfilm vorgenommen.

Barbara Schrödl (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg/Berlin) fächerte einleitend den Einsatz des Films für die deutsche Architekturgeschichte seit der Jahrhundertwende bis in die Nachkriegszeit auf. Sie lenkte den Blick auf die Herausbildung einer explizit filmischen Bildsprache, die sich in den Filmen der zweiten Hälfte der 1930er Jahre beobachten lässt. Den Wandel der Bildsprache setzte sie ebenso zu dem akademischen Interesse an filmischen Bildern als wissenschaftlichem Instrumentarium wie zu dem Verhältnis zwischen der akademischen Forschung und Lehre sowie der populären Kunstvermittlung in Beziehung. Formuliert wurde die These, dass ein Zusammenhang zwischen dem Ausschluss der filmischen Repräsentation aus dem universitären Kontext nach 1945 und der Herausbildung einer explizit filmischen Bildsprache besteht. Darüber hinaus wurde auf die Relevanz geschlechtsspezifischer Aspekte hingewiesen. Die deutsche akademische Kunstgeschichte lässt sich als eine männerbündische Gemeinschaft charakterisieren, die ihre Autorität in Abgrenzung zu den kulturellen Praktiken der weiblich konnotierten 'Volksgemeinschaft' gewann, dennoch auf Breitenwirksamkeit zielte und nach 1945 um die Rekonstruktion ihrer wissenschaftlichen Reputation bemüht war.

Fritz Kestel (Bamberg) legte mit den Analysen der Filme »Das steinerne Buch» (1937/38) und »Die Bauten Adolf Hitlers« (1938) detaillierte Einzelstudien vor. Er befragte die »technische Aufrüstung des Auges« durch den spezifischen Einsatz der filmischen Mittel. Zudem stellte er die Bildsprache der Filme in den Kontext der Architekturfotografie des Regisseurs, der sich zunächst in den 1920er Jahren als Architekturfotograf einen Namen gemacht hatte. Herausgestellt wurde, dass der spezifische Einsatz von großen Brennweiten, Schrägfahrten, starken Untersichten, nahen Blicken und der Beleuchtungstechnik den Bamberger Dom und seine Figurenausstattung in ein Licht setzen, das im nationalsozialistischen Deutschland eine große propagandistische Wirkung haben musste. Er diente einer Emotionalisierung, die sich als Teil einer nationalsozialistischen »Überwältigungsstrategie» beschreiben lässt. Daran anschließend plädierte Kestel dafür bei dem Aufbau digitalisierter Bildarchive an den kunsthistorischen Instituten ein besonderes Gewicht auf die Markierung des Kontextes zu legen aus dem die Bildvorlagen entnommen sind.

Andres Janser (Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich/Universität Zürich) betonte den zentralen Stellenwert des Visuellen der filmischen Repräsentation, der einerseits Architektur in besonderer Weise lesbar und damit einer kritischen Überprüfung zugänglich macht, aber andererseits dem visuell Wahrnehmbaren (verkürzt) den Status des Wesentlichen zuschreibt. Auf der Grundlage der frühen Auseinandersetzungen um den Einsatz des Bildmediums Film in der Architekturgeschichte, setzte er am Beispiel von Alain Tanners Film »Une ville à Chandigarh» (1966), der durch einen poetischen Kommentar des Kunstkritikers John Berger unterlegt ist, die Kategorien des Visuellen, der Zeitlichkeit und der Bewegung in Beziehung und befragte die Wechselwirkungen zwischen Text und Bild. Abschließend plädierte er mit Giulio Carlo Argan dafür, die Qualitäten des Erzählerischen, Atmosphärischen und Psychologischen des populären Spielfilmes für die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu nutzen. Seinen Vorschlag konnte er dadurch untermauern, dass zeitgenössische Architekten, wie Bernard Tschumi oder Jean Nouvel, dem Kino eine konstituierende Rolle für ihre Architektur zusprechen.

Die vierte und letzte Sektion mit dem Titel »Die digitale Revolution in der Kunstgeschichte« wurde von Ingeborg Reichle (Humboldt-Universität zu Berlin) moderiert. Einleitend skizzierte die Moderatorin zahlreiche Parallelen im Aushandlungsprozess des Einsatzes von Fotografie und Lichtbild im 19. Jahrhundert und den gegenwärtigen Diskussionen um den Gebrauch digitaler Medien. Die Geschichte des Einsatzes des Computers in den Kunstwissenschaften fächerte sodann Thomas Lackner (kunstgeschichte.de e.V. Frankfurt) auf, wobei sein Augenmerk zunächst auf der Albertischen »Fenstermetapher« und deren vermeintlichen Fortleben in den Bildschirmen des Computerzeitalters lag. Diese mächtige Metapher leitet Jahrzehnte lang die Vorstellungen von der Mensch-Maschine-Kommunikation zwischen Anwendern und Computern und nicht zuletzt auch die Vorstellung von »digitalen Bildern«, die wiederum zum Einsatz von »Bilddatenbanken« führte. Als insbesondere in den 1980er Jahren mit großem finanziellem Aufwand zahlreiche große Datenbankprojekte in der institutionalisierten Kunstgeschichte ins Leben gerufen wurden, war der Eintritt in ein »post-alberisches-Zeitalter« schon abzusehen, das auf völlig anderen Parametern fußt. Als leistungsfähige Hardware auch für Kunsthistoriker im universitären Kontext verfügbar wurde, die »digitale Bilder« prozessieren und sogar über das Internet verteilen konnte, hatte sich wissenschaftstheoretische Überlegungen längst vom visuellen Paradigma des Computers abgewendet und durch ein prozesshaftes ersetzt. Mit seinen Ausführung zeige Lackner deutlich auf, in welch einem Dilemma sich gegenwärtig die Diskussion um die Einführung digitaler Medien in das wissenschaftliche Arbeiten befindet, die ihre Legitimation aus einer Rhetorik des Visuellen schöpft, im Grunde jedoch mit dem tatsächlichen Verschwinden der Hardware und somit des Visuellen konfrontiert ist.

Die lebhaften Diskussionen der Referate der dritten und vierten Sektion wurden vor allem durch Prof. Dr. Heinrich Dilly (Universität Halle) bereichert, der nicht nur die Frage nach den Bildmedien der Kunstgeschichte im deutschsprachigen Raum angestoßen hat, sondern auch erstmals den Film in diesen Kontext einbrachte. Deutlich wurde, dass die gerade erst begonnenen Diskussionen über das Verhältnis der Kunstgeschichte zum instrumentellen Gebrauch des Films, vertieft werden sollten. Fragen des Einsatzes bewegter Bilder erhalten im Kontext der Erweiterung der Kunstgeschichte zu den Bildwissenschaften wie der Möglichkeit die 'alten' Medien durch den Computer, der die wissenschaftliche Arbeit in immer höherem Maße bestimmt, zu simulieren, neue Aktualität. Weiterer Forschungsbedarf besteht in der Sichtung der Quellenlage. Darüber hinaus sind die Spezifika und die Qualitäten einer filmischen Repräsentation von Kunst und Architektur noch genauer herauszuarbeiten. Zudem wurde gefordert den Blick auf die Aufführungspraktiken der Medien zu richten. Weiter nachgegangen werden sollte der Überlegung, ob der Widerstand gegenüber dem wissenschaftlichen Gebrauch bewegter Bilder in der Kunstgeschichte mit einer Angst vor einem Autoritätsverlust der einzelnen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie der Disziplin insgesamt in Zusammenhang gestanden haben könnte.

(Thomas Lackner)
top
©2004 kunstgeschichte.de | impressum
info
kurzinfo
»Die Bildmedien der Kunstgeschichte«. Workshop am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin.

Zeitraum
Freitag, den 20. Juni 2003 von 14 bis 19 Uhr
Samstag, den 21. Juni 2003 von 10 bis 18.30 Uhr.

Ort
Raum 310 im Gebäude des Kunstgeschichtlichen Seminars der Humboldt-Universität zu Berlin, Dorotheenstraße 28, Berlin-Mitte.

Sektionen
- Die Institutionalisierung der Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert
- Mediendiskussion im 19. Jahrhundert
- Das bewegte Bild und die Kunstgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts
- Die digitale Revolution in der Kunstgeschichte

Autor
Thomas Lackner
KUNSTGESCHICHTE.DE
Berliner Straße 3
D-65824 Schwalbach/Ts.
eMail: info@kunstgeschichte.de

Infos im Netz
www2.hu-berlin.de/arthistory/pub/semEv5.php?sfId=ev0
(Abstracts und Reader)